Und deren Muttersprache hier nur wenige Menschen sprechen, die beratend oder therapeutisch eingreifen könnten.
Ibrahim Kaawar (34) ist da eine Ausnahme. Er hat den Blick, spricht fließend arabisch und ist seit Mai bei der Caritas im Kreis Soest als Traumaberater tätig. Nicht als Therapeut, darauf legt er Wert. Unter anderem, dienstags und mittwochs, auch in den Räumen der Caritas und in der Liobaschule in Warstein. Es gibt viel zu tun. Kaawar ist keiner der so genannten hilflosen Helfer, die eigentlich selbst Unterstützung bräuchten. Ein zupackender Typ, Quereinsteiger, mit Führungserfahrung in der Wirtschaft, Psychologiestudent. Einer, auf den 16 oder 17 Jahre alte, zum Teil schwer traumatisierte arabisch sprechende Flüchtlingsjungen hören, die zu ihm geschickt werden – Kaawars Hauptklientel. Und das nicht nur in Warstein, sondern auch montags in Lippstadt, donnerstags in Soest und freitags in Werl.
Wie kommt er an seine Klienten? Ganz einfach: „Meine Kooperationspartner rufen an, dass sie Flüchtlinge haben, denen es nicht gut geht und die nicht deutsch sprechen“, berichtet er. Kooperationspartner, das sind Sozialämter, Jugendämter, die LWL-Kliniken, Kinderhäuser, Ehrenamtliche. Zu 80 Prozent sind die Betroffenen Jugendliche, weniger Kinder oder ältere Erwachsene.
Ibrahim Kaawar seit Mai bei der Caritas im Kreis Soest als Traumaberater tätig.Text und Foto: Westfalenpost Warstein
Auffällig geworden sind sie Kaawar zufolge mit Unruhezuständen, inneren Bildern, Alpträumen, Angstzuständen, Panikattacken – Traumata infolge von Kriegsereignissen (70 Prozent) und der Flucht (30 Prozent). Das könne sich bis hin zu psychosomatischen Symptomen steigern: Zittern, Schwitzen, hoher Puls. Dem Berater zufolge sind es oft Bombeneinschläge in der Nähe der heimatlichen Wohnung oder miterlebte Entführungen mit Folter und Lösegeldzahlung, die so etwas auslösen.
Ibrahim Kaawar weiß, wovon er spricht. Der Traumaberater stammt selbst aus Beirut – 1986 kam er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Wickede – noch mit dem Flugzeug, wie er betont – und fasste schnell Fuß, bis hin zu kaufmännischer Lehre und beruflicher Selbstständigkeit. Dann die Umorientierung: Psychologiestudium an der Fernuni Hagen und Fortbildung in Traumatologie, was schließlich, nachdem er Betreuungsleiter in der Notunterkunft Lippstadt geworden war, die Caritas auf ihn aufmerksam machte.
„Behördenunabhängige Beratung traumatisierter Flüchtlinge“ heißt das Projekt, das mit 24 Stunden pro Woche vom Kreis Soest finanziert wird. Wie arbeitet ein Helfer, der junge Menschen stabilisieren will? „Gespräche, basteln, malen, gemeinsame Ausflüge“, erzählt Kaawar. Von 8 bis 12 Uhr in der Caritas-Beratungsstelle Warstein, die mit Holzwerkstatt, Küche und Bibliothek gut ausgestattet ist, und von 12 bis 16 Uhr im offenen Ganztag Liobaschule. Dort sieht er sich als wichtiges Bindeglied zwischen Schulleitung, Eltern und Jugendlichen. „Am Anfang lag dort der Schwerpunkt auf den Flüchtlingskindern, jetzt sind wir zu gemischten Gruppen übergegangen“, berichtet der Berater. Ausflüge haben die Jugendlichen nicht nur ins Warsteiner Bilsteintal geführt, sondern bis in den Allwetterzoo Münster.
Auffällig ist: Nicht nur in den Familien, auch bei der Trauma-Bearbeitung in den Räumen der Caritas dominieren die Männer. „Zu 70 Prozent“, bestätigt Ibrahim Kaawar. Das kann – was wenig glaubhaft wäre – an einer geringeren Zahl oder weniger schweren Traumatisierungen von Mädchen oder Frauen durch Krieg und Kriegsfolgen liegen oder eben an fehlender Bereitschaft oder Mut. „Frauen trauen sich oft nicht, da kann ich noch so gut arabisch sprechen“, sagt der Traumaberater.