Immer mehr Kinder und Jugendliche suchen in einer der vier Erziehungsberatungsstellen (EB), die die Caritas im Kreis Soest betreibt, Hilfe "Die Kinder werden nicht gefragt, wenn der neue Lebensgefährte der Mutter in die Wohnung einzieht", nennt Anne Bunse-Stempel ein gar nicht seltenes Familienereignis. "Das macht aber ihr Leben instabil." Wie sehr solche "Brüche" Kinder und Jugendliche verunsichern und überfordern können, wurde im Rahmen der Pressekonferenz überdeutlich, zu der Vorstand Thomas Becker (Soziale Dienste) mit Wolfgang Faber/EB Soest, Claudia Helmecke/EB Werl, Christian Welzel/EB Warstein und Anne Bunse-Stempel /EB Lippstadt eingeladen hatte.
Setzen auf Beratung und Prävention (v. l). Christian Welzel, Wolfgang Faber, Anne Bunse-Stempel und Claudia Helmecke. Foto: Caritas
Ihr gemeinsamer Jahresbericht legt nüchtern die Zahlen offen: 2013 waren in den vier EBs 2.163 "Fälle" zu bearbeiten, darunter 1.424 Neuanmeldungen. "Fälle - das sind die Maßeinheiten für die Landesstatistik. Für uns sind es Menschen. Wenn man bedenkt, dass jedes Kind, das Hilfe braucht, eine Mutter und einen Vater hat, dann sind mindestens drei Menschen einzubeziehen, meistens sogar ganze Netzwerke", interpretiert Wolfgang Faber. "Unsere Arbeit beginnt bei klaren Anfragen von Eltern zum Entwicklungstand des Kindes bis hin zur Gewalt in der Familie und selbstverletzendem Verhalten." Für ihn ist es ganz wichtig zu betonen: "Kein Kind und kein Jugendliche, die in einer akuten Notsituation bei uns klingeln und ein Gespräch brauchen, wird weggeschickt. Auch wenn wir eine hohe Arbeitsdichte haben, diese Zeit für die Kontaktaufnahme nehmen wir uns." Sie erhalten sofort einen ersten Termin. Nur zwei Prozent der Erwachsenen, die um Unterstützung bitten, müssen länger als zwei Monate warten.
Weitere Zahlen: 1.388 Beratungs"fälle" wurden im vergangene Jahr abgeschlossen. 23 Prozent der Beratungsarbeit kam Familien mit Zuwanderungsgeschichte zugute - darauf stellte sich die Caritas ein, indem sie z. B. in Lippstadt eine Beraterin mit spanischem Migrationshintergrund einstellte. "In Werl leben viele Familien aus dem türkischen Raum, sie haben besondere Erwartungen an uns", berichtet Faber aus der Zeit, als er noch in der Marienstadt tätig war. Mit zwanzig Prozent der Beratungsarbeit werden Familien unterstützt, die vorrangig von Sozialleistungen leben. Der Löwenanteil der Arbeit aber wird den Fällen gewidmet, die in Zusammenhang mit Trennung und Scheidung (27 %) stehen oder in denen Alleinerziehende (26 %) Beratung und /oder Hilfe brauchen. Das alles überschneidet sich natürlich.
Seit dem Ende der 90er-Jahre hat sich der Bedarf nach qualifizierter Beratung verdreifacht. Die steigende Sexualisierung der Lebenswelten, der Trend zur Individualisierung, die Flucht in die Medien bis hin zum Cybermobbing, die steigende Zahl der hochstrittigen Scheidungsverfahren - das alles schlägt sich in Brüchen nieder, mit denen Kinder und Jugendliche fertig werden müssen. Die EB Werl hat da einen neuen Weg beschritten: Sie bietet eine Online-Beratung an. Claudia Helmecke: "27 Kinder und Jugendliche haben sie im letzten Jahr genutzt. Für sie ist das eine erste Anlaufstelle."
Neben der Beratungsarbeit, die u. a. vom Jugendämtern, Schulen, Betreuungseinrichtungen, Kinderärzten angeregt werden, muss die Präventionsarbeit verstärkt werden. Da ist der tägliche Spagat in den EBs vorprogrammiert: "Je mehr Präventionsarbeit in den Beratungsstellen geleistet wird, umso länger müssen andere Menschen auf die Beratung warten", beschreibt Vorstand Thomas Becker die Situation. "Wir machen Projektarbeit seit Jahren und nehmen Jugendliche für mehrere Tage im Jahr aus dem Schulalltag heraus", macht Christian Welzel am Beispiel der Rollen-Reflexionstage in Rüthen deutlich. "Dabei wird ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, und die Jugendlichen erhalten eine Vorstellung davon, was möglich ist." Das ist auch der Grund, warum Wolfgang Faber sich dafür einsetzt, dass Kommunen bei der benötigten Präventionsarbeit die Anbieter vor Ort bevorzugt. "Dann kennen die Teilnehmer die Gesichter und die Institutionen und wissen, an wen sie sich später wenden können. Alle von außerhalb, die sind dann weg."
Derzeit findet unter Leitung des Kreisjugendamtes ein Qualitätsdialog mit den vier kommunalen Jugendämtern im Kreis Soest statt. In diesem Rahmen wird auch über die Schwerpunktsetzungen der Erziehungsberatung als zentrales Hilfeangebot der Kinder- und Jugendhilfe entschieden. "Das ist ein offener und konstruktiver Dialog", sagt Vorstand Thomas Becker. "Wir haben viele Ideen, die wir einbringen."